Gralshüter des Wettbewerbs mit wenig Sinn für Teilhabe
Die ersten Beschäftigungsprojekte der Caritas in der Erzdiözese Freiburg für langzeitarbeitslose Menschen entstanden ab Ende der 1980er Jahre. Die individuellen Folgen anhaltender Massenarbeitslosigkeit durch den tiefgreifenden Strukturwandel der Industriearbeitsgesellschaft wurden in der Caritas zuerst in den Gemeinwesenprojekten, in der Wohnungslosenhilfe und in den Beratungsstellen sichtbar: Existenzsorgen, Verschuldung, Vereinsamung, Suchterkrankungen bis hin zu Wohnungsverlust. Bei vielen Akteuren wuchs damals die Überzeugung, dass der Arbeitslosigkeit auch ursächlich begegnet werden muss: mit der Schaffung von Beschäftigungs- und Qualifizierungsprojekten, um sinnvolle Tätigkeit, strukturierten Alltag, soziale Kontakte, sozialpädagogische Begleitung und Perspektive auf Arbeit (wieder) zu eröffnen. Vor über zwanzig Jahren waren Projekte für langzeitarbeitslose Jugendliche und Erwachsene für die Caritas in der Erzdiözese Freiburg noch Neuland.
Fairkauf – eine Idee eröffnet viele Möglichkeiten
Im Jahr 1988 gründete der Fachverband AGJ in Lörrach das erste Gebrauchtwarenkaufhaus der Caritas in Baden, und 1995 wurde das bundesweit erste Kaufhaus mit dem Namen Fairkauf vom Caritasverband Konstanz eröffnet.
Fairkauf – der Name war und ist Programm: Gut erhaltene gebrauchte Waren werden von ihren Vorbesitzern gespendet, erhalten eine zweite Chance auf weiteren Gebrauch – ökologische Ressourcen werden geschont. Für einen fairen Preis finden die Waren neue Besitzer, was nebenbei deren Haushaltsbudget entlastet. Dies sind gute, aber nicht die primären Zwecke: Denn allem voran steht das Ziel, arbeitsmarktnahe Qualifizierung und sinnvolle Beschäftigung für (langzeit-)arbeitslose Menschen zu schaffen, um ihnen Wege in eine dauerhafte Erwerbsarbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu eröffnen.
Die Idee war beispielgebend für inzwischen 15 Kaufhäuser von örtlichen Caritasverbänden und Caritasträgern in der Erzdiözese Freiburg. Der Maßstab der Fairkauf- und Secondhand-Kaufhäuser ist es von Anbeginn gewesen, den Erwartungen von Kund(inn)en und Beschäftigten an ein „normales“ Kaufhaus zu genügen und sich vom Ambiente traditioneller Möbel- und Kleiderkammern deutlich abzugrenzen. Dass arbeitslose Menschen im regulären Kundenkontakt tätig sind und bewusst mit ihrer Lebenslage, aber auch ihrem Potenzial öffentlich in Erscheinung treten, ist Programm und hat den Projekten und den Menschen viel Respekt und Sympathie eingebracht.
Fairkauf- und Secondhand-Kaufhäuser sind Orte, an denen Arbeit nicht simuliert wird, sondern wo Menschen in vielfältigen Bereichen ihren Erfahrungen oder Interessen gemäß sinnvoll tätig und zum Teil auch regulär ausgebildet werden können: ob im Bereich Transport, in den angeschlossenen Dienstleistungsbereichen und Gewerken (zum Beispiel Schreinerei, Lager, Elektrowerkstatt, Wäscherei, Fahrradwerkstatt, Malerwerkstatt), beim Sortieren, Säubern und Reparieren der gebrauchten Güter, beim Dekorieren oder beim Verkauf der Waren.
Allein der Fairkauf Freiburg hat in den letzten Jahren rund 35 benachteiligten jungen Frauen und Männern in anerkannten Ausbildungsberufen wie Einzelhandelsoder Bürokaufleute, Maler und Lackierer, Fachkräfte für Lagerlogistik oder Elektrotechnik ihren Berufsabschluss ermöglicht.
Die Caritas-Beschäftigungsträger in der Erzdiözese Freiburg sind seit über zehn Jahren in einem „Qualitätssicherungsverbund“ organisiert: gegenseitige Kaufhaus-Evaluationen und gemeinsame QMB-Zirkel (Qualitätsmanagementbeauftragte) sowie gemeinsame Fortbildungsveranstaltungen gehören zum Konzept. Zertifiziert sind die Kaufhäuser nach DIN EN ISO und aktuell gemäß der neuen AZAV (Akkreditierungs- und Zulassungsverordnung Arbeitsförderung) – Letztere eine notwendige Voraussetzung, um künftig noch ausschreibungspflichtige Qualifizierungsmaßnahmen der Jobcenter umsetzen zu können.
Die Fair- und Secondhand-Kaufhäuser können fraglos als Erfolgsmodell in der Caritas gelten. Sie setzen Befähigung und Teilhabe für benachteiligte Menschen um, leisten qualitätsvolle Arbeit und konnten in den zurückliegenden Jahren für viele Menschen nicht nur zeitweilig eine „Jobheimat“ bieten, sondern eine Brücke in Ausbildung und Erwerbsarbeit bauen. Doch dem Erfolgsmodell sind Grenzen gesetzt.
Eigentlich eine tolle Idee – doch es gibt Restriktionen
Mit der Einführung des SGB II und seiner Programmatik des „Förderns und Forderns“ veränderte sich seit 2005 der Rechtsrahmen der Fördermaßnahmen, mit denen langzeitarbeitslose Menschen Hilfe zur Eingliederung in Arbeit erhalten. Die Überwindung der Hilfebedürftigkeit durch Wiedereingliederung in Erwerbsarbeit wurde das zentrale Ziel aller Leistungen. Menschen, die in den Gebrauchtwarenkaufhäusern Qualifizierung und eine befristete Beschäftigung erhalten, werden von den Jobcentern aus Eingliederungsmitteln der Bundesagentur für Arbeit gefördert.
Gefördert wurden seitdem sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsmaßnahmen wie ABM, Kombilöhne, Eingliederungs- oder Beschäftigungszuschüsse oder die Bürgerarbeit. Vor allem aber wurden die nicht unumstrittenen Arbeitsgelegenheiten („Ein-Euro-Jobs“) für die Jobcenter zum Mittel der Wahl für Menschen mit mehreren Vermittlungshemmnissen, die keine reguläre Erwerbsarbeit finden können.
Die Beschränkung der in der Praxis quantitativ bedeutsamen Arbeitsgelegenheiten auf ausschließlich zusätzliche und im öffentlichen Interesse liegende Tätigkeiten wurde dabei eine immer strenger angewendete Restriktion. Mit dem Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt („Instrumentenreform“), das im April 2012 in Kraft trat, kam noch eine weitere Anforderung hinzu: die Wettbewerbsneutralität der Tätigkeit. Das Möglichkeitenspektrum ist damit inzwischen sehr eingeschränkt.
Die Politik hielt in den letzten Jahren den „Instrumentenkasten“ für langzeitarbeitslose Menschen durch Gesetzesänderungen im SGB II in ständiger Bewegung. Ein Trend ist dabei unverkennbar: Die öffentlich geförderte Beschäftigung für Langzeitarbeitslose befindet sich im Zangengriff. Zum einen treten an die Stelle flexibler arbeitsmarktnaher Beschäftigungsmaßnahmen nun starre ausschreibungspflichtige Qualifizierungsmaßnahmen, die oft an den Bedürfnissen und Möglichkeiten der Zielgruppe vorbeigehen. Zum anderen wirken massive Kürzungen bei den Eingliederungsmitteln, die 2010 mit dem Sparpaket der Bundesregierung beschlossen wurden und nun Jahr für Jahr ihre Wirkung entfalten. Davon sind vor allem die Menschen mit den geringsten Chancen auf zügige Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt betroffen.
Es wird damit für die Verantwortlichen in den Secondhand-Kaufhäusern und in allen anderen Beschäftigungsprojekten immer schwieriger, für wenig qualifizierte, gesundheitlich eingeschränkte und sozial benachteiligte langzeitarbeitslose Menschen in der Praxis sinnvolle Arbeitsmöglichkeiten in gesetzeskonformen Maßnahmen umzusetzen. „Form follows function“, die alte Regel für gutes Design, ist in der Beschäftigungsförderung offenbar außer Kraft gesetzt. Die Beschäftigungsträger sollen langzeitarbeitslose Menschen für eine dauerhafte Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorbereiten und ihnen Eingliederungschancen eröffnen, ohne sie mit den realen Bedingungen dieses Arbeitsmarktes konfrontieren zu dürfen – eine permanente Paradoxie, die mit einem Schwimmkurs auf dem Trockenen vergleichbar ist.
Der Schutz des Wettbewerbs und der lokalen Wirtschaft scheint wichtiger als Möglichkeiten der sozialen Teilhabe und beruflichen Integration von Menschen, für die der allgemeine Arbeitsmarkt kaum Chancen bereithält.
Um die strengen Kriterien der Wettbewerbsneutralität zu erfüllen, sehen sich inzwischen bundesweit einige Gebrauchtwarenhäuser gezwungen, ihren Kundenkreis vergleichbar den „Tafeln“ auf bedürftige Menschen einzuschränken. Dies wider- spricht aber der Grundidee der Kaufhäuser.
Kaufhaus für Arme? Kaufhaus für alle!
Ziel der Gebrauchtwarenkaufhäuser der Caritas war es immer, auch Menschen in benachteiligten Lebenslagen als Kunden anzusprechen und ihnen Zugang zu guten Waren und Dienstleistungen zu ermöglichen. Doch das war ein Nebeneffekt, nicht die Hauptidee. Wenn die Süddeutsche Zeitung 2009 den „Boom von Sozialkaufhäusern“ zweideutig als „unheimliche Erfolgsgeschichte“ beschrieb1, spiegelt das auch Erfahrungen in der Caritas wider: die zunehmende materielle Bedürftigkeit vieler Bürger(innen) und der Zwang, mit einem engen Haushaltsbudget auszukommen und zu sparen, wo es geht. Für diese Menschen ist Schnäppchenjagd kein Alltagsspaß, sondern Notwendigkeit.
Trotzdem wollen die allermeisten Gebrauchtwarenkaufhäuser der Caritas kein „Angebot für Arme“ sein und tun sich teilweise schwer mit dem Begriff der „Sozialkaufhäuser“. Sie wollen keine stigmatisierende Parallelversorgung für bedürftige und arme Bürger(innen) vorhalten, sondern weiter einer breiten Kundschaft ohne Einschränkungen offenstehen, weil sie für die zu beschäftigenden und zu qualifizierenden Menschen ausdrücklich ein inklusives Arbeitsumfeld bewahren möchten. Dies ist ein Spagat, der immer schwieriger zu meistern ist.
Öffentlich geförderte Beschäftigung bleibt nötig
Allen Konjunkturaufschwüngen und Jobwundern der letzten Jahre zum Trotz: Es gibt in unserer Erwerbsarbeitsgesellschaft einen festen „Sockel“ langzeitarbeitsloser Menschen, die auf dem ersten Arbeitsmarkt keine dauerhafte Chance haben. Wegen ihrer gesundheitlichen oder sozialen Probleme, ihres Alters, ihrer Lebenssituation, mangelnder Sprachkenntnisse oder fehlender Qualifikation (oder einer Gemengelage aus all dem) finden sie nicht oder nur kurzzeitig den Weg in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung am ersten Arbeitsmarkt. Für diesen eingrenzbaren Personenkreis ist ein öffentlich geförderter Beschäftigungssektor vonnöten. Durch sinnvolle Beschäftigung erfahren die Menschen Stabilisierung, können sich als tätig und für andere bedeutsam erleben, Selbstvertrauen wiederfinden, eine Perspektive entwickeln.
Die notwendige Infrastruktur – sinnvolle, den Realitäten des allgemeinen Arbeitsmarktes gerecht werdende Arbeit, gute Rahmenbedingungen, qualifiziertes Personal – ist in den Gebrauchtwarenkaufhäusern wie in allen weiteren Beschäftigungs- und Qualifizierungsprojekten auch in der Caritas vorhanden. Wenn es kein Umsteuern in der Beschäftigungspolitik gibt, sind diese bewährten Hilfestrukturen der Caritas gefährdet, obwohl sie gebraucht werden. Ohne diese Strukturen bricht für die betroffenen Menschen bewährte und effektive Hilfe zur Teilhabe an Arbeit und letztlich aktive Armutsbekämpfung weg.
Anmerkung
1. Süddeutsche Zeitung vom 17./18. Oktober 2009, S. 5: „Eine unheimliche Erfolgsgeschichte. Sozialkaufhäuser in Deutschland boomen – ein Zeichen dafür, dass es vielen Menschen immer schlechter geht.“