Baustelle Gleichstellung – packen wir’s an!
Sie pflegen, erziehen, beraten: Rund 80 Prozent der Caritas-Mitarbeiter(innen) sind Frauen. Und wer hat das Sagen? Auf mittleren Führungspositionen finden sich noch zu gut 40 Prozent Frauen. Die Geschäftsführer- und Vorstandsposten größerer Träger sind zu 80 Prozent von Männern besetzt.
Damit sich das ändert, votierte die Caritas-Delegiertenversammlung im Oktober 2011 für eine Quotenregelung. Außerdem wurde beschlossen, eine Caritas-Gender-Beauftragte zu berufen: Irme Stetter-Karp, Vizepräsidentin des Deutschen Caritasverbandes. Liane Muth, Beauftragte für Gleichstellung und Familienfreundlichkeit in der Zentrale des Deutschen Caritasverbandes, traf sich mit ihr zum Gespräch beim Caritasverband Karlsruhe.
Frau Dr. Stetter-Karp, Vizepräsidentin des Deutschen Caritasverbands und Gender-Beauftrage der Caritas.
Liane Muth: Die Delegiertenversammlung hat den Unternehmen der Caritas empfohlen, den Frauenanteil in den Vorständen, Geschäftsführungen und Aufsichtsgremien über eine Quote auf 50 Prozent zu erhöhen. In diesem Kontext haben Sie das Amt der ersten bundesweiten Caritas-Genderbeauftragten übernommen. Sind Sie damit Schirmherrin für die Idee der Gleichstellung?
Irme Stetter-Karp: Ja, wobei ich mich auch als Ombudsfrau sehe, die den Prozess wach begleitet und zu stärken versucht. Ich habe ja keine Projektverantwortung, also nicht das Ruder in der Hand, sondern das "Boot" Caritas und die Fahrtrichtung im Blick und somit eine politische Wächterfunktion.
Sie können auf jahrzehntelange Erfahrung mit Gender- und Führungsthemen zurückgreifen. Aktuell sind Sie Bundesvorsitzende von IN VIA, als Ordinariatsrätin Leiterin der Hauptabteilung Caritas im Bischöflichen Ordinariat und Vorsitzende des Aufsichtsrates des DiCV Rottenburg-Stuttgart. Viel weibliche Gesellschaft haben Sie da wohl nicht?
Ich bin nach meiner Kenntnis eine von zwei DiCV-Aufsichtsratsvorsitzenden. Im DCV-Caritasrat sind wenige Frauen; bei den großen Trägern kann man die Frauen im Vorsitz von Aufsichtsräten an der Hand abzählen. Wir sind bundesweit zwei Ordinariatsrätinnen, die eine Hauptabteilung in der Diözese leiten, in der Regel sind die Kollegen Weihbischöfe. Mit Trier und - neu - Berlin haben wir zwei DiCV-Direktorinnen. Und wenn ich auf die letzten zwölf Jahre Caritasarbeit zurückschaue, haben wir im Vergleich - Zentralrat und Ausschüsse Anfang 2000 und nach der Satzungsreform Delegiertenversammlung und Kommissionen - im Grad der Beteiligung der Frauen schon eine positive Entwicklung, aber sehr viel durchlässiger ist die gläserne Decke dort, wo es um Führungsverantwortung geht, nicht geworden.
Sehen Sie Spezifika, etwa spezielle Mentalitätsmuster, Rollenbilder und Rituale, die der gläsernen Decke bei der Caritas eine besondere Dichte verleihen?
Die kirchlich geprägten Strukturen verhindern einiges an Partizipation. Als ich den Caritasverband kennengelernt habe, war ich darüber überrascht. Ich hätte erwartet, dass dort, wo Laien in Führungsverantwortung gehen können, das Potenzial speziell von Frauen selbstverständlicher entfaltet wird. Aber obwohl es Frauen waren, die die soziale Arbeit nach 1945 aufgebaut hatten, haben sich vorwiegend Männer in den führenden Positionen installiert.
Als Genderbeauftragte werden Sie den Vorsitz für den Fachbeirat zu dem auf zwei Jahre angelegten DCV-Projekt "Gleichgestellt in Führung gehen" übernehmen. Ziel ist, die Datenlage zu verbessern, Gründe für die mangelnde Partizipation von Frauen zu identifizieren und Fortbildungsinstrumente zu entwickeln. Warum steigt man nicht gleich mit Maßnahmen ein, die mehr Frauen in Führung bringen?
Wir sind noch nicht an diesem Punkt. Dass Frauen gleichgestellt in Führung gehen, muss von den Aufsichtsräten wirklich gewollt sein. Ein Daten-Ranking, das verdeutlicht, welche Caritas-Unternehmen in welchem Umfang Frauen in der Führung beteiligen, wird hier hoffentlich Zug ausüben.
Zwei tatkräftige Genderbeauftragte im Gespräch: Liane Muth (rechts) für die Zentrale des DCV und Vizepräsidentin Irme Stetter-Karp (links) für die deutsche Caritas.DCV
Welche Rolle spielt dabei die Quote?
Die Verständigung auf eine Quote ist ein wichtiger formaler Akt. Sie könnte ein Qualitätsmerkmal und Wettbewerbsvorteil werden. Notwendig ist die Quote, weil wir zwar formal weitgehend gleiche Zugangsmöglichkeiten für Frauen und Männer haben. Aber je höher der Grad der Eigenmächtigkeit im Arbeitsfeld oder die Hierarchieebene ist, desto deutlicher ist die Exklusion von Frauen faktisch.
Die Rechtsträger und deren rechtliche Vertreter müssen die Quote aber auch umsetzen, das heißt, in Leitungs- und Aufsichtsfunktionen verstärkt Frauen berufen. Das funktioniert erfahrungsgemäß nicht einfach so.
Die Verbände müssen aufgefordert werden, den Anteil von Frauen in der Führung zu verantworten. Hier habe ich den Deutschen Corporate Governance Kodex im Blick, der beschreibt, was eine gute Unternehmensführung ausmacht. Die Arbeitshilfe 182 "Soziale Einrichtungen in katholischer Trägerschaft und wirtschaftliche Aufsicht" des Verbands der Diözesen Deutschlands und der Kommission für caritative Fragen der Deutschen Bischofskonferenz bezieht sich auf den Kodex und sieht vor, dass Aufsichtsräte unterschiedliche Kompetenzen abbilden. Ich meine, dass eine Aussage zum Geschlechterverhältnis in Aufsichtsräten in die Arbeitshilfe 182 aufgenommen werden muss.
Dann haben Sie die Zielvorgabe. Und wie wollen Sie das praktisch unterstützen? Es ist ja nicht so, dass man nur die Tür aufmachen muss und herein strömen die Kandidatinnen. Was meines Erachtens nicht Ursache, sondern Folge der männlich dominierten Führungskultur ist.
Ich setze auf die Einführung neuer Spielregeln. Entscheidend ist, welche kulturelle Bewegung jetzt entstehen kann, ob es gelingt, zu sensibilisieren und einen Mix von Instrumenten aufzubauen. Alles Weitere, zum Beispiel die Ressourcenplanung, fällt in die Verantwortung der Unternehmen.
Es gibt Rahmenbedingungen, zum Beispiel was die Vereinbarkeit von Beruf und Familie betrifft, die von den Unternehmen allein nicht verändert werden können. Ist das auch ein Thema, wenn es darum geht, mehr Frauen in Führung zu bringen?
Ja. Da ich zwei inzwischen erwachsene Kinder habe, stand ich früher selbst vor der Frage: Wie geht das, Beruf und Familie? Ich habe das privat lösen müssen, es gab damals keine Infrastruktur. Auch heute mache ich die Erfahrung, dass es meist familiäre Verpflichtungen sind, die die Frauen zögern lassen, sich auf Führungspositionen einzulassen.
Das erlebe ich genauso. In der Zentrale des Deutschen Caritasverbandes versucht man diesem Umstand zu begegnen, indem Führungspositionen immer auch in Teilzeit ausgeschrieben werden.
Wenn man es auf beide Geschlechter bezieht, kann das eine Chance sein. Solange Frauen Teilzeit arbeiten und daneben Haushalt und Kinder versorgen, die Männer aber nicht, sind sie beruflich im Nachteil. Ich selbst wollte daher früher nie in Teilzeit arbeiten.
Teilzeit und Doppelbelastung sind das eine. Es gibt weitere Mechanismen, die die berufliche Karriere von Frauen behindern, zum Beispiel die Tatsache, dass männliche Entscheider eher wieder Männer auf gute Posten ziehen.
Ja, das Männernetzwerk, das funktioniert gut. Dieses Netzwerken müssen Frauen noch lernen. Und das Zubeißenwollen, das eben nicht friedlich ist. Allerdings nehme ich auch wahr, dass jüngere Frauen selbstbewusster auftreten, mehr fordern. Wenn früher galt: Frau nimmt die Bedingungen hin, wie sie da sind, oder sie hat keine Möglichkeit zu beruflicher Entwicklung, so sagen die Frauen heute, wie sie sich ihre Arbeitsbedingungen vorstellen.
Wenn dem so ist, werden sich die Caritasunternehmen in Zukunft noch mehr engagieren müssen, um diese Frauen als Mitarbeiterinnen zu gewinnen und zu halten. Personalmarketing und ein Personalmanagement, das insbesondere Frauen unterstützt, ermutigt und fördert, müssen hier Hand in Hand arbeiten.
Es wäre sicher für alle Seiten gewinnbringend, Frauen gezielt zu fördern, beispielsweise über Coaching und Mentoring zu begleiten. Wo der Weg langgeht, das werden wir sehen. Eine gute Führungskultur im 21. Jahrhundert lässt sich jedenfalls partout nicht mit der Exklusion von Frauen zusammenbringen. Deshalb sollte Frauenförderung auf keinen Fall als einzelne Insel angelegt werden, man muss das Genderthema gut in die personalpolitische Zielsetzung als Ganzes integrieren.