Pfändungsschutz für Girokonten erlischt 2012
Jedem Girokonto liegt ein Vertrag zwischen Kontoinhaber und der Bank zugrunde. Aus diesem Vertrag leitet sich der Anspruch des Kontoinhabers gegen das Bankinstitut ab, auf Verlangen das vorhandene Guthaben auszuzahlen. Dieser Anspruch auf Auszahlung kann von einem Gläubiger des Kontoinhabers gepfändet werden: die sogenannte Kontopfändung. Nach bisher geltendem Recht konnte Pfändungsschutz für Zahlungseingänge auf einem Konto nur mit Hilfe der Vollstreckungsgerichte erreicht werden. Eine Ausnahme galt für Sozialleistungen, gesetzliche Renten und Kindergeld. Diese Beträge konnten vom Kontoinhaber auch im Falle einer Pfändung des Kontos in voller Höhe abgehoben werden, zumindest während eines Zeitraums von 14 Tagen nach Eingang der jeweiligen Leistungen auf dem Konto (§ 55 SGB I). Ließ der Kontoinhaber diese Frist verstreichen, ohne das Geld abzuheben und damit in Sicherheit zu bringen, waren auch Sozialleistungen in voller Höhe pfändbar. Die Banken neigten überdies beim normalen Girokonto häufig dazu, gepfändete Konten wegen des erhöhten Bearbeitungsaufwandes zu kündigen.
Daher hat der Gesetzgeber im Juli 2010 das Pfändungsschutzkonto, kurz "P-Konto" eingeführt. Im Gegensatz zum gewöhnlichen Girokonto bietet das P-Konto auch ohne Hilfe der Gerichte einen automatischen Mindestbetragsschutz von 1028,89 Euro. Dieser Mindestbetragsschutz kann im Einzelfall erhöht werden mit Hilfe einer Bescheinigung, die bestimmte Stellen - unter anderem auch Schuldnerberatungsstellen - ausstellen können, oder mit Hilfe der Gerichte. Andererseits gewährt das P-Konto keinen privilegierten Schutz für Sozialleistungen mehr wie bisher. Geschützt sind nur Beträge im Rahmen des geschützten, möglicherweise durch Bescheinigung oder Gericht individuell erhöhten Betrages von 1028,89 Euro. Dabei ist es gleichgültig, ob es sich um Sozialleistungen oder Arbeitseinkommen handelt.
Liegt keine Pfändung vor, funktioniert das P-Konto wie ein ganz normales Girokonto. Der Auszahlungsbetrag ist also bei entsprechendem Guthaben auch nicht auf den Betrag von 1028,89 Euro begrenzt.
Ein Beispiel: Wer nicht aufpasst, hat das Nachsehen
Am 1. November 2011 gehen auf einem gepfändeten, gewöhnlichen Konto 1500 Euro Sozialleistungen ein. Der Kontoinhaber kann den gesamten Betrag bis zum 15. November 2011 abheben, ohne dass es einer gerichtlichen Entscheidung bedarf (§ 55 SGB I).
Handelt es sich dagegen um ein P-Konto, sind zunächst nur 1028,89 Euro vor Pfändung geschützt. Will der Kontoinhaber auch den Rest des Betrages abheben, kann er dies nur, wenn er zum Beispiel mit der Bescheinigung einer Schuldnerberatungsstelle gegenüber der Bank Unterhaltspflichten oder andere Tatbestände nachweist, die den Freibetrag erhöhen.
Seit der Einführung des P-Kontos im vergangenen Jahr galt der gewohnte Pfändungsschutz für gewöhnliche Girokonten neben dem neuen Pfändungsschutz für P-Konten. In unserem Beispiel kann der Kontoinhaber also wählen: Hat er noch ein gewöhnliches Girokonto, kann er die Sozialleistungen innerhalb der gesetzlichen Frist von 14 Tagen einfach abheben. Er könnte aber sein Konto auch durch Antrag bei seiner Bank in ein P-Konto umwandeln lassen. Dann benötigt er aber eine Bescheinigung, um den vollen Betrag sichern zu können.
Dieses Nebeneinander von altem und neuem Pfändungsschutz war aber von Anfang an nur für einen Übergangszeitraum vorgesehen. Dieser Übergangszeitraum endet am 31. Dezember 2011.
Ab dem 1. Januar 2012 gibt es nur noch Pfändungsschutz für P-Konten. Für gewöhnliche Girokonten erlischt jeglicher Pfändungsschutz zu diesem Zeitpunkt - ohne irgendwelche Übergangsfristen. Der Kontoinhaber in unserem Beispiel kann also nur noch dieses Jahr auf den gesetzlichen Schutz von Sozialleistungen bauen. Die Regelung des § 55 SGB I entfällt zum 1. Januar 2012 vollständig. Was bedeutet dies?
Angenommen, unser Kontoinhaber lässt sein Girokonto nicht vor dem 31. Dezember 2011 in ein P-Konto umwandeln. Am 30. Dezember 2011 gehen die Sozialleistungen für Januar 2012 in Höhe von 1500 Euro auf dem Konto ein. Am 1. Januar 2012 erlischt der Schutz von Sozialleistungen auf dem Konto, weil die Übergangsfrist zu Ende ist. Die Sozialleistungen werden also in voller Höhe pfändbar und müssen vollständig von der Bank an den Pfändungsgläubiger überwiesen werden und zwar sofort am 2. Januar 2012. Dagegen kann man nichts mehr unternehmen, das Geld ist unwiederbringlich weg. Nun hat der Kontoinhaber nur noch eine Möglichkeit: Er muss beim Sozialleistungsträger erneut die Gewährung von Leistungen für Januar 2012 beantragen.
Der Gesetzgeber hat also nicht durch eine Übergangsfrist dafür gesorgt, dass Sozialleistungen, die bisher geschützt waren, auch noch im neuen Jahr abgehoben werden können.
In unserem Beispiel hätte sich der Kontoinhaber vor dem Verlust seiner existenzsichernden Leistungen nur schützen können, wenn er sein Konto noch im Jahr 2011 rechtzeitig in ein P-Konto umgewandelt hätte. Denn der Schutz für das P-Konto (1028,89 Euro + eventuell durch Bescheinigung aufgestockter Betrag) gilt natürlich auch im Jahr 2012.
Abwandlung 1 des Beispielfalles:
Der Kontoinhaber bezieht keine Sozialleistungen, sondern Arbeitsgehalt in derselben Höhe (1500 Euro). Bereits im März 2011 hat er durch einen Antrag beim zuständigen Vollstreckungsgericht einen Freigabebeschluss in Höhe von 1500 Euro erwirkt. Seitdem kann er trotz Pfändung wieder über sein volles Einkommen verfügen. Im Vertrauen auf den gerichtlichen Schutz wandelt er sein Konto nicht vor 2012 in ein P-Konto um. Die Folge: Die gesetzliche Grundlage, auf der der Freigabebeschluss vom März 2011 beruht, entfällt zum 1. Januar 2012 komplett, da es ab 2012 auf normalen Girokonten überhaupt keinen Schutz mehr gibt. Das bedeutet, dass der Freigabebeschluss des Gerichts zu diesem Datum wirkungslos wird und das Kontoguthaben nicht mehr schützt. Am 2. Januar 2012 muss also die Bank die 1500 Euro Arbeitseinkommen, die Ende Dezember auf dem Konto eingegangen sind, an den Pfändungsgläubiger überweisen. Es bleibt nichts übrig, um Miete, Strom, Heizung oder Lebensmittel zu bezahlen. Wiederum bleibt nur der Gang zum Sozialleistungsträger.
Diesem Unglück hätte der Kontoinhaber nur entgehen können, wenn er noch im Jahr 2011 sein Konto in ein P-Konto umgewandelt und sich eine entsprechende Bescheinigung besorgt hätte.
Abwandlung 2 des Beispielfalles:
Das Konto ist mit 3000 Euro im Minus. Es gehen Ende November 1500 Euro Sozialleistungen auf dem Konto ein, Kontostand also am 31. Dezember 2011: minus 1500 Euro.
Nach altem Recht (§ 55 I SGB I) kann der volle Betrag von 1500 Euro bis 31. Dezember 2011 abgehoben werden, die Bank darf die Sozialleistungen nicht mit dem Soll auf dem Konto verrechnen und die Auszahlung verweigern. Am 1. Januar 2012 entfällt auch dieser Verrechnungsschutz. Es kann zwar nichts von anderen Gläubigern gepfändet werden, weil das Konto überzogen ist und daher kein Guthaben vorhanden ist. Die Bank kann aber - rechtlich völlig korrekt - die gesamten Sozialleistungen mit dem Kontorückstand verrechnen und die Auszahlung an den Kontoinhaber verweigern, weil der gesetzliche Schutz des § 55 SGB I entfallen ist. Wieder bleibt nur der erneute Gang zum Jobcenter.
Hätte der Kontoinhaber das Konto rechtzeitig vor dem Jahreswechsel in ein P-Konto umgewandelt, wären seine Sozialleistungen auch im Jahr 2012 geschützt. § 850k Abs. 6 ZPO bestimmt nämlich, dass die Bank Sozialleistungen, die auf einem P-Konto eingehen, innerhalb von 14 Tagen nach der Gutschrift nicht mit eigenen Forderungen verrechnen darf.
Abwandlung 3 des Beispielfalles:
Wie in Abwandlung 2, es gehen aber keine Sozialleistungen, sondern Arbeitsentgelt in gleicher Höhe ein. In diesem Fall ändert sich nichts im Vergleich zur bisherigen Rechtslage. Bereits nach bisherigem Recht ist die Bank jederzeit berechtigt, eine nur geduldete Überziehung des Kontos jederzeit aufzukündigen und eingehendes Gehalt mit der Überziehung komplett zu verrechnen.
Gleiches gilt auch für das P-Konto. Dieses schützt nur Sozialleistungen vor Verrechnung durch die Bank. Arbeitsentgelt genießt diesen Schutz nicht. Der Kontoinhaber hat also nur die Möglichkeit, mit der Bank eine Rückzahlungsregelung zu vereinbaren, um zu verhindern, dass sein komplettes Einkommen verrechnet wird.
Höhere Gebühr für P-Konto
Noch immer verlangen viele Banken für die Führung eines P-Kontos höhere Gebühren als für die Führung eines normalen Girokontos. Mittlerweile haben mehrere Gerichte entschieden (zuletzt das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg, Beschluss vom 27. Mai 2011, AZ 10 U 5/11), dass es unzulässig ist, für P-Konten als "Sonderkonten" höhere Gebühren zu verlangen als für vergleichbare normale Konten. Solange aber der Gesetzgeber keine verbindliche gesetzliche Regelung trifft, werden viele Schuldner höhere Kosten in Kauf nehmen müssen, wenn sie überhaupt Pfändungsschutz erlangen wollen. Die Ausweichmöglichkeit des alten Pfändungsschutzes für normale Konten wird es ja ab 2012 nicht mehr geben. Die Bundesregierung hat aber in Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der Fraktion "die Linke" zum P-Konto (Bundestags-Drucksache 17/5411) bereits klargemacht, dass sie vor Ablauf einer Evaluationsfrist von drei Jahren nach Inkrafttreten der P-Konto-Reform im Jahr 2010 weitere Gesetzesänderungen ausschließe.
Wenn nun in unserem Beispielsfall der Kontoinhaber sein Konto in ein P-Konto umwandeln lassen möchte, um sein Einkommen auch im neuen Jahr vor Pfändungen zu schützen, kann es also sein, dass die Bank für exakt die gleichen Leistungen höhere Gebühren verlangt. In diesem Fall sollte die Bank auf die Entscheidung des OLG Naumburg - schriftlich - hingewiesen werden, mit der Aufforderung, keine höheren Gebühren für das P-Konto zu verlangen. Sollte die Bank darauf nicht eingehen - was leider wahrscheinlich ist - besteht die Möglichkeit, eventuell unter Inanspruchnahme von Beratungs- und Prozesskostenhilfe einen Rechtsanwalt zu beauftragen. Der Anwalt kann gegen die Bank bei Gericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung stellen, mit dem Ziel, dieser die Erhebung höherer Gebühren zu untersagen.
Liegen die für das P-Konto erhobenen Gebühren erheblich über den normalen Kontogebühren, kann sich der Kontoinhaber auch zusätzlich an die Verbraucherzentrale Bundesverband (www.vzbv.de) wenden. Die Verbraucherzentrale mahnt mit Hilfe von Rechtsanwälten Banken ab, die für P-Konten erheblich höhere Gebühren verlangen.
Problem: überzogene Konten und Gemeinschaftskonten
Problematisch wird es ab 2012 vor allem für Gemeinschaftskonten. Während es bisher mit Hilfe der Gerichte wenigstens möglich war, bei Gemeinschaftskonten einen rudimentären Pfändungsschutz über § 765a Zivilprozessordnung (ZPO) herzustellen, ist dies beim P-Konto nicht mehr möglich. P-Konten dürfen nur als Einzelkonten geführt werden. Es ist also dringend geboten, allen Betroffenen, denen Pfändungen drohen, möglichst frühzeitig zu raten, Gemeinschaftskonten in Einzelkonten umzuwandeln.
Nicht weniger ungelöst ist die Frage, wie bei überzogenen Konten zu verfahren ist. Manche Banken verweigern bei überzogenen Konten die Umwandlung in ein P-Konto. Andere wandeln das Konto zwar um, jedoch ohne eine Umschuldung des überzogenen Kontos (= Dispositionskredits) in einen Ratenkredit vorzunehmen und dadurch das P-Konto auszugleichen. Ein überzogenes P-Konto kann aber seinen Schutz nicht entfalten. Auch hier ist dringender Bedarf an gesetzgeberischer Aktivität, worauf man allerdings derzeit nicht hoffen kann.
Notfalls: gerichtlicher Antrag auf Vollstreckungsschutz
Ebenfalls ungelöst ist das Problem, dass Schuldner in den Fällen, in denen sie keine P-Konto-Bescheinigungen erhalten können, vielerorts von den Gerichten der Schutz nach § 850k Abs. 5 S. 4 ZPO verweigert wird. Dieses wird sich im kommenden Jahr wegen des Wegfalls des alten Pfändungsschutzes noch verstärken und dazu führen, dass Schuldner schutzlos gestellt werden, weil sie keine Bescheinigung erlangen können. Gesetzliche Klarstellung? Nicht in Sicht.
Sollte sich ein Vollstreckungsgericht weigern, einen Antrag auf Vollstreckungsschutz für ein P-Konto zu bearbeiten, sollte schriftlich ein Antrag beim Gericht gestellt werden (siehe Kasten unten). Sollte das Gericht den Antrag zurückweisen, kann - gegebenenfalls mit Hilfe eines Anwalts - sofortige Beschwerde dagegen eingelegt werden.
Checkliste zum Jahreswechselproblem beim P-Konto
- Grundsätzlich sollte Teil jeder Schuldnerberatung sein, die Kontosituation zu betrachten. Ist ein Konto vorhanden? Ist das Konto überzogen? Gibt es Pfändungen? Drohen in absehbarer Zeit Pfändungen?
- Besteht kein Konto, informiert der Schuldnerberater den Kunden, dass die Banken jedem ein Girokonto auf Guthabenbasis zur Verfügung stellen sollen. Dazu haben sich die Banken selbst verpflichtet in der "Empfehlung des Zentralen Kreditausschusses zum Girokonto für jedermann" aus dem Jahr 1995. Diese Empfehlung sollte gegenüber der Bank ausdrücklich erwähnt werden.
- Besteht ein Konto, das bereits jetzt gepfändet ist, muss der Schuldnerberater den Kunden dringend darauf hinweisen, dass ab dem 1. Januar 2012 nur noch ein P-Konto Pfändungsschutz gewähren kann. Das Konto muss also unbedingt rechtzeitig vor dem Jahreswechsel in ein P-Konto umgewandelt werden. Dies gilt unabhängig davon, ob auf dem Konto Sozialleistungen, Arbeitsentgelt oder andere Beträge eingehen. Auf die Umwandlung eines bereits vorhandenen Kontos in ein P-Konto innerhalb von drei Tagen besteht ein gesetzlicher Anspruch gegen die Bank.
- Reicht der Grundfreibetrag auf dem P-Konto (1028,89 Euro) nicht aus, weist der Schuldnerberater den Kunden auf die Notwendigkeit einer Bescheinigung durch eine geeignete Stelle (Arbeitgeber, Familienkasse, Sozialleistungsträger, Schuldnerberatungsstelle) oder durch das Vollstreckungsgericht (Musterantrag siehe oben) hin.
- Ist das Konto überzogen und gehen monatlich Sozialleistungen ein, muss das Konto ebenfalls vor dem Jahreswechsel in ein P-Konto umgewandelt werden. Sonst kann die Bank am 1. Januar 2012 die Sozialleistungen mit der Überziehung verrechnen und die Auszahlung verweigern. Dies gilt unabhängig davon, ob das Konto gepfändet ist oder nicht.
- Es besteht ein Konto, das noch nicht gepfändet ist. Es ist aber (zum Beispiel bei Vorliegen von Vollstreckungsbescheiden) unter Umständen noch dieses Jahr (2011) mit dem Eingang einer Pfändung zu rechnen. Dann muss das Konto noch in diesem Jahr in ein P-Konto umgewandelt werden.
- Es besteht ein Gemeinschaftskonto, das nicht in ein P-Konto umgewandelt werden kann (darf nur als Einzelkonto geführt werden). Wir informieren den Kunden, dass es erforderlich ist, das Konto in zwei Einzelkonten aufzuteilen und diese dann in einzelne P-Konten umzuwandeln. Weigert sich die Bank, dies zu tun, sollten bei einer anderen Bank Einzelkonten eröffnet und in P-Konten umgewandelt werden.
- Die Bank weigert sich, ein überzogenes Konto in ein P-Konto umzuwandeln. Hier sollte die Bank auf die gesetzliche Verpflichtung zur Umwandlung hingewiesen werden. Notfalls muss die Bank mit Hilfe eines Rechtsanwalts durch eine einstweilige Verfügung zur Umwandlung in ein P-Konto gezwungen werden.