EU-Mittel für Sozialunternehmen
Erstmals gibt es in Deutschland ein eigenes Programm für die Beschäftigten in freigemeinnützigen Einrichtungen. Bislang waren die Wohlfahrtsverbände weitestgehend von EU-Förderprogrammen zur Anpassungsfähigkeit von Beschäftigten an Veränderungen der Arbeitsmärkte ausgeschlossen. Diese richteten sich vor allem an die Privatwirtschaft und gewerbliche Unternehmen. In der aktuellen EU-Förderperiode wird allerdings der Sozialwirtschaft ein breiteres Interesse entgegengebracht. Personalentwicklung und lebenslanges Lernen in der Zukunftsbranche Sozialwirtschaft werden auch für den EU-Mitgliedstaat Deutschland immer wichtiger, um seine Vorgaben im Rahmen der europäischen Beschäftigungsstrategie erfüllen zu können.
Viele Einrichtungen, Unternehmen und Verbände der freien Wohlfahrtspflege, insbesondere auch der Caritas, haben mittlerweile für sich die Chance erkannt, sich durch die Beteiligung am ESF1-Programm „rückenwind – Für die Beschäftigten in der Sozialwirtschaft“ personalpolitisch besser aufzustellen. Zum einen ist dabei die Frage nach künftigen Marktchancen nicht unerheblich. Zum anderen lässt die Programmbeteiligung den Blick wieder schärfen für das wichtigste Kapital aller Caritasunternehmen – das Personal, die Menschen, die in der Caritas für Menschen arbeiten. Es geht darum, die Qualifikationsmöglichkeiten der Beschäftigten zu erhöhen und gleichzeitig die Motivation der Mitarbeiter(innen) in der Caritas zu fördern und sie, beispielsweise in der Pflege, zu halten. Durch die Entwicklung und Erprobung innovativer Konzepte der Personalentwicklung und -gewinnung beteiligen sich die Caritasträger an der weiteren Sicherstellung qualitativ hochwertiger Dienstleistungen (zu ausgewählten Beispielen s. unten). Dabei liegt das Finanzvolumen allein bei den einzelnen Caritas-Projekten zwischen 60.000 Euro und 2,5 Millionen Euro bei einer Laufzeit zwischen ein und drei Jahren.
Schwerpunkte der Caritas-Projekte zur Personalentwicklung und -gewinnung liegen in den Bereichen Altenhilfe, Pflege, Gesundheitshilfe, Kinder- und Jugendhilfe sowie Hilfen für Menschen mit Behinderung oder psychischer Erkrankung. Darüber hinaus sind Projekte entstanden in den Bereichen Beschäftigung/Qualifizierung und Bildung sowie Ehrenamt. In anderen Verbänden wurden auch Projekte in den Bereichen Migration, Wohnungslosenhilfe und Rettungswesen entwickelt.
Eine Reihe der gestarteten Projekte arbeitet fachbereichsübergreifend und nimmt die verschiedenen Facetten der Personalentwicklung in den Blick wie zum Beispiel eine altersgerechte Personalentwicklung, Personalmarketing und Personalakquise, Diversity Management2 oder Gesundheitsförderung.
Federführend in der Durchführung dieser fachbereichsübergreifenden Projekte, die vor allem Führungskräfte zur Zielgruppe haben, sind bislang die Fort- und Weiterbildungseinrichtungen der einzelnen Verbände, insbesondere deren Akademien.
Träger, die das ESF-Programm „rückenwind“ nutzen möchten, sollten sich vor ihrer Interessenbekundung und Antragstellung neben den Förderschwerpunkten vor allem auch mit den Querschnittszielen auseinandersetzen.
Förderkriterien im Programm „rückenwind“
Hohen Wert legt die Steuerungsgruppe3, die über die Zulassung zur Antragsstellung entscheidet, auf die Beantwortung der Fragen zur Nachhaltigkeit, zur Bewältigung des demografischen Wandels sowie zum Gender-Mainstreaming-Ansatz. Diesen drei Aspekten sollten Caritasunternehmen Gewicht beimessen, denn:
- Nur durch nachhaltige Ansätze werden Personal- und Organisationsentwicklung und damit die Anpassungsfähigkeit von Caritasunternehmen und der Branche Sozialwirtschaft zukunftsfähig sein.
- Die Frage nach dem Beitrag zur Gestaltung des demografischen Wandels ist eine ureigene Frage der Caritasträger beziehungsweise der Sozialwirtschaft. Nicht nur die alternde Gesellschaft und damit einhergehend ältere Klient(inn)en, sondern eben auch die Aspekte älter werdender Belegschaften und fehlenden beruflichen Nachwuchses stehen auf der Agenda.
- Die Frage nach dem Gender Mainstreaming mögen viele vielleicht nicht mehr hören. Dennoch liegt hier noch viel im Argen. Die Frage nach der Chancengleichheit der Geschlechter ist eben nicht lediglich durch Frauenförderung zu beantworten. Hier geht es manchmal an die Grundfesten der Einrichtungs- und Trägerstrukturen.
Es ist erfreulich, dass im Rahmen der ersten drei Aufrufe zur Interessenbekundung in den Jahren 2009 und 2010 Projektanträge aus allen sechs Förderbereichen des Programms „rückenwind“ von Caritasträgern eingereicht wurden. Damit wird auch die unterschiedliche Bedarfslage unterstrichen.
Projektbeispiele der Caritas
Bislang konnten zwölf Projekte an den Start gehen, weitere befinden sich im Antragsverfahren. Beispielhaft seien die Projekte aus der ersten Antragsrunde vorgestellt, wobei die angelegte bundesweite Durchführung nicht für die Antragsteller zwingend ist. Nicht die Größe, sondern die Güte des Projektes ist ausschlaggebend.
Altersgerechte Personalentwicklung in Verbänden, Einrichtungen und Diensten der Caritas (Träger: Fortbildungs-Akademie des DCV)
Geschäftsführer(innen) und Personalverantwortliche erhalten in einem fünfteiligen Kurs einen Überblick über den Diskussionsstand in verschiedenen Bereichen altersgerechter Personalentwicklung (Personalmarketing, flexible Arbeitszeitgestaltung, Gesundheitsförderung, Diversity Management, Lernen als Unternehmenskultur). Durch Projektarbeit wird Gelerntes unmittelbar in die Praxis der Verbände und Unternehmen übersetzt. Der Kurs wird bundesweit in Kooperation mit den Diözesan-Caritasverbänden angeboten.
Personalgewinnung für die Gesundheits- und Sozialwirtschaft aus dem Bereich benachteiligter Jugendlicher (Träger: IN VIA Katholischer Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit Deutschland)
Das Projekt will dem künftigen Personalmangel in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft nachhaltig entgegenwirken. Es bündelt die verschiedenen Handlungsfelder und vielfältigen Ressourcen der Caritas: Bisher benachteiligte junge Menschen werden zur Arbeit in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft gewonnen und befähigt. Sie erhalten eine breit angelegte, praxisorientierte Basisqualifizierung für unterstützende Tätigkeiten in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft. Im Rahmen des Projekts wurden bundesweit an sechs Standorten Arbeitsplätze für jeweils bis zu 15 junge Menschen geschaffen.
Alles fit?! – Qualifizierung von Gesundheitscoaches in Einrichtungen und Betrieben der Caritas durch Blended Learning4 (Träger: Katholische Bundesarbeitsgemeinschaft Integration durch Arbeit (IDA) im DCV)
Insgesamt 80 Fach- und Führungskräfte werden zu Gesundheitscoaches in 39 Einrichtungen und Betrieben der Caritas qualifiziert, die sich mit der Beratung, Orientierung, Qualifizierung und Vermittlung von arbeitsuchenden Menschen befassen. Die Fach- und Führungskräfte erwerben Kenntnisse in der Gesundheitsprävention und -förderung und werden befähigt, entsprechende Angebote insbesondere in Beschäftigungsbetrieben zu entwickeln und durchzuführen.
Hohe Nachfrage
Die breite Beteiligung im Rahmen der weiteren Aufrufe zur Interessenbekundung zeigt die starke Resonanz von Caritasträgern auf das Programm „rückenwind“ deutlich. Neben den Orts- und Diözesan-Caritasverbänden sind es zunehmend Einrichtungsträger, die sich am Programm beteiligen und damit ihre Innovationskraft unter Beweis stellen.
Seit dem Start des Programms „rückenwind“ zu Beginn des Jahres 2009 ist der riesige Bedarf in der Sozialwirtschaft deutlich geworden. In den Gesprächen zwischen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales haben die Beteiligten sich deshalb darauf verständigt, die zunächst bereitgestellten EU- und Bundesmittel von 40 Millionen Euro um weitere 20 Millionen Euro aufzustocken.
Anmerkung
1. ESF: Europäischer Sozialfonds.
2. Vielfaltsmanagement, das die Unterschiede zwischen den Persönlichkeiten der Mitarbeitenden konstruktiv zu nutzen sucht.
3. Der Steuerungsgruppe gehören neben sechs Vertreter(inne)n des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales sechs Vertreter(innen) der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege an.
4. Mischung aus internetgestützter Lehre und Anwesenheitszeiten.