Krank ohne Krankenversicherung – was tun?
Die Mittwochssprechstunde in den Räumen der Diakonie ist für viele Menschen die letzte Hoffnung. Sie sind krank, aber nicht oder nur unzureichend krankenversichert. Solche Fälle dürfte es in Deutschland gar nicht geben, denn seit 2009 besteht eine Versicherungspflicht. Die Realität sieht anders aus: "Wir übernehmen eine staatliche Aufgabe. De facto sind wir eine Art Feuerwehr, mit einem wichtigen Unterschied: Wir zahlen unser Löschwasser selbst." Uwe Denker lächelt, trotz all der Missstände im Gesundheitssystem hat er sich den Humor bewahrt. Der Nächste, bitte.
Seit 13 Jahren praktiziert der Bad Segeberger Facharzt für Kinder- und Allgemeinmedizin Uwe Denker, mit 68 in den Ruhestand versetzt, in der von ihm gegründeten ersten Praxis ohne Grenzen. Weil gegen das exklusive Ausgaberecht der Apotheken nichts zu machen war, kauft er die Medikamente aus Spendengeldern, monatlich sind es im Schnitt 2000 Euro.
Seine Frau Christa, gelernte pharmazeutisch-technische Assistentin, begleitet einen älteren Mann in den Behandlungsraum. Wie viele andere hilft sie ehrenamtlich in der Sprechstunde. Sie nimmt Blut ab, misst den Blutzucker oder desinfiziert medizinische Geräte. In einer Plastiktüte hat der Patient alle seine Pillen dabei - gegen Atemnot, Diabetes, Bluthochdruck. Der inzwischen 85-jährige Arzt wirft einen Blick in die Patientenakte, untersucht die geschwollenen Beine des Mannes und verschreibt die Arzneien, die zur Neige gehen. Der Patient hat viele Jahre als Fleischer im Akkord gearbeitet, irgendwann konnte er nicht mehr. "Dat kriegen wir hin", muntert ihn der Doktor auf.
Keine Beiträge bedeuten Schulden
Der Großteil seiner Patientinnen und Patienten sind - neben alleinerziehenden Müttern und Menschen mit Migrationshintergrund - gestrandete Mittelständler und Selbstständige. Sie waren privat versichert und konnten die hohen Beiträge eines Tages nicht mehr stemmen. Wenn Beiträge nicht bezahlt werden, stufen die Kassen die Versicherten in einen Notlagentarif ein: Es werden nur noch Kosten für Akutbehandlungen übernommen. Weil die Betroffenen keine neue Karte bekommen, glauben viele, sie seien gar nicht mehr versichert. Genauso wenig wissen sie oft, dass sich die nicht bezahlten Beiträge zu Schulden anhäufen.
Uwe Denker kämpft für jeden Einzelnen, der durch die sozialen Netze fällt. Welche Absurditäten im System vorkommen, zeigt ein Beispiel: "Da wird jemand, der sich im Notlagentarif befindet, mit Verdacht auf Herzinfarkt ins Krankenhaus eingeliefert", erzählt Denker. "Stellt sich heraus, dass es glücklicherweise keiner war, wird er zur Kasse gebeten." Die Rechnung übernimmt meist die Praxis ohne Grenzen. Denker geht von mehr als 800.000 Nichtversicherten aus. Die meisten sind in dem Teufelskreis gefangen: "Nicht krankenversichert zu sein ist lebensgefährlich."
Um das zu ändern, fährt er auch öfter mal nach Berlin. In der Bundespolitik versucht der Mediziner, dem Menschenrecht Gesundheit und seinen Forderungen Gehör zu verschaffen. Erstens: eine Grundversicherung mit bezahlbaren Beiträgen für alle Menschen. Zweitens: eine beitragsfreie Krankenversicherung für alle Kinder und Jugendlichen, also eine Art umgekehrter Generationenvertrag. Und drittens: eine Herabsetzung der Mehrwertsteuer auf Medikamente, denn "es kann nicht sein, dass der Staat an der Krankheit der Leute auch noch verdient".
Bei Vorträgen macht er die Praxis ohne Grenzen bekannt
Das Projekt ist weithin bekannt und hat auch vielerorts - mit seiner Unterstützung - Schule gemacht: Allein in Schleswig-Holstein gibt es sieben gut ausgestattete Praxen ohne Grenzen. Um die medizinische Anlaufstelle im Gespräch zu halten, reist er immer wieder durchs Land, liest aus seinem Buch "Praxis ohne Grenzen", referiert vor Pflege-Studierenden, hält Vorträge, gibt Interviews, schreibt Petitionen, organisiert Benefizveranstaltungen, pflegt seine Kontakte zu medizinischen Einrichtungen. Für all diese Aktivitäten muss der christlich motivierte Arzt nicht betteln gehen. Jeden Tag gehen Spenden ein. Bisher haben sie immer ausgereicht. Dafür ist Denker sehr dankbar - seine Patientinnen und Patienten sind es noch viel mehr.