Durch Ratenkäufe in die Schuldenfalle
Sandra war 19 und glücklich. Zusammen mit ihrem Freund schmiedete sie Pläne. Gemeinsam bezogen sie eine Wohnung und schafften Möbel an. Sandra bezahlte – auf Raten. Anfangs beteiligte sich ihr Freund noch an den Zahlungen. Dass er bereits Schulden hatte, verschwieg er ihr. Stattdessen ermutigte er sie, immer neue Möbel anzuschaffen. "Ich hatte wohl eine rosarote Brille auf", versucht die examinierte Sozialbetreuerin sich ihr damaliges Verhalten zu erklären.
Dann verlor Sandra ihren Arbeitsplatz, und die finanziellen Belastungen wurden zu einem Problem. Hilfe von ihrem Freund bekam sie nicht: Er war selbst zahlungsunfähig. "Ich hatte immer die Hoffnung, dass er mir das Geld irgendwann zurück gibt", sagt sie. Stattdessen stellte er ihr seine neue Freundin vor - und warf Sandra aus der gemeinsamen Wohnung. Er behielt die Möbel, sie die Schulden: mehrere Tausend Euro.
Schamgefühl und Angst vor Ausgrenzung
Zwei Jahre lang war die heute 24-Jährige arbeitslos. Sie öffnete keine Rechnungen und ignorierte Mahn- und Inkassofristen. "Ich habe alles verdrängt", gesteht sie sich heute ein. Die Zinsen für die offenen Ratenzahlungen ließen den Schuldenberg derweil immer weiter anwachsen. Fast täglich riefen die Gläubiger bei ihr an und drohten mit dem Gerichtsvollzieher. In der Hoffnung, nicht mehr unter Druck gesetzt zu werden, unterschrieb sie Zahlungsvereinbarungen, die sie nicht einhalten konnte. "Ich hatte Angst, meiner Familie und Freunden von meinem Problem zu erzählen und sie zu enttäuschen", erzählt Sandra R. Erst als ihre Eltern ihre Briefe abfingen und sie zur Rede stellten, suchte sie sich Hilfe bei einer Schuldnerberatung der Caritas.
Frauen in der Schuldenfalle
Laut Schuldneratlas 2020 sind prozentual mehr Männer von Überschuldung betroffen als Frauen. Doch mit rund 39 Prozent aller überschuldeten Personen ist der Anteil überschuldeter Frauen beachtlich. Zudem geraten Frauen häufiger in finanzielle Krisensituationen. Grund ist die Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt. Immer mehr Frauen sind im Niedriglohnsektor beschäftigt. Um die Erziehung ihrer Kinder zu gewährleisten, gehen sie Leih- und Teilzeitarbeitsverhältnisse ein, die zudem oft befristet sind.
Alleinerziehend und verschuldet
Besonders alleinerziehende Frauen geraten immer häufiger ins finanzielle Abseits. Sind die Kinder jung und brauchen deshalb viel Aufmerksamkeit, können Mütter selten einer geregelten Arbeit nachgehen. Kommen Väter in so einer Situation ihren Unterhaltspflichten nicht nach, wird es für die Betroffenen oft schwer, ihre laufenden Kosten zu decken. "Alleinerziehende sind besonders gefährdet, denn ihnen fehlt Zeit und Kraft, sich auf eine eventuelle finanzielle Krise zu konzentrieren", erklärt Nicolas Mantseris, Schuldnerberater der Caritas in Neubrandenburg. Die Schuldnerinnen seien überfordert, Leidtragende sind auch die Kinder.
Die Zukunft beginnt nach der Insolvenz
Vergangenes Jahr ging Sandra R. mit Unterstützung der Caritas-Schuldnerberatung in die Privatinsolvenz. Bei diesem gerichtlichen Verfahren werden Betroffene innerhalb mehrerer Jahre vollständig von ihren Restschulden befreit. Für die Schuldner bedeutet das, eine lange Zeit mit wenig Geld auszukommen. Deshalb ist für Sandra R. die Gründung einer eigenen Familie in den kommenden Jahren tabu, obwohl sie inzwischen wieder eine feste Arbeitsstelle gefunden hat. "Erst will ich meine Schulden loswerden, auch um meinen neuen Freund damit nicht zu belasten", sagt sie. Sie sei froh, dass ihre Finanzen durch das Insolvenzverfahren nun geregelt sind. Das Geld, das ihr monatlich bleibt, reicht zum Leben in einer kleinen Einraumwohnung. In der Nähe liegt ein See, dort geht Sandra oft schwimmen. Das empfindet sie als kleinen Luxus und gleichzeitig als großen Ansporn für die Zeit nach dem Insolvenzverfahren. Ihr großer Traum ist es, in den Urlaub zu fahren. Am liebsten ans Meer.
* Name von der Redaktion geändert