Wenn das Leben zu Ende geht
Maria H. braucht nicht lange, um sich an die neue Umgebung zu gewöhnen. "Schon am ersten Tag hat sie Besuch empfangen und sich überall umgeschaut", erinnert sich Michael Schwarz, der pflegerische Leiter im Christophorus-Hospiz in Mainz. Zurück nach Hause, das ging für die 77 Jahre alte Frau nach der Zeit im Krankenhaus nicht mehr - da war sie sich mit ihrem Mann einig. Dritter Stock, kein Aufzug und die Wohnung mit all ihren Ecken und Kanten. Das strengte die Krebspatientin zu sehr an. Sie konnte nicht mehr gesund werden. Und doch lag vor Maria H. noch ein Stück Weg, das letzte ihres Lebens.
Auf Vorschlag des Klinik-Sozialdienstes schauten sich ihre Kinder dafür das Caritas-Hospiz an. "Wir sorgen für unsere Gäste mit dem ganzheitlichen Palliative Care-Konzept", erläutert Michael Schwarz. "Das bedeutet, wir unterstützen sie mit einer aufwändigen Schmerztherapie und übernehmen ihre Handgriffe von der Körperpflege bis zum Toilettengang, soweit sie es wünschen." Auch Zeit für Gespräche bleibt: Elf Mitarbeiter und drei Seelsorger kümmern sich im Wechsel um die acht Gäste im Haus. 16 ehrenamtliche Kräfte unterstützen sie dabei. Hausärzte betreuen die Bewohner medizinisch. Einen Großteil der Kosten übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen.
Noch eine Pizza
Als Maria H. ankommt, schmücken bunte Gemälde der Tochter ihr Zimmer. Die kranke Frau gewöhnt sich langsam daran, fremde Hilfe für Alltägliches anzunehmen und spart ihre Kräfte für Schöneres: Morgens liest sie Zeitung. Kommt ihr Mann, zieht sie ihre Perücke auf und setzt sich mit ihm ins Wohnzimmer. Hinterher ist Maria H. erschöpft und legt sich hin. "Dazu ermutigen wir unsere Gäste", sagt Schwarz. "Sie sollen sich lange Ruhepausen gönnen und wissen, dass das völlig in Ordnung ist."
Wie ihr Tag läuft, bestimmen die Gäste selbst. "Manche wollen für sich sein; andere ein Brettspiel machen oder sogar ins Theater gehen", berichtet der Pflege-Leiter. Maria H. will ihre Wohnung noch einmal sehen und den Kühlschrank auswaschen. So wie sie es immer gemacht hat. Und obwohl das einen Kraftakt für die kranke Frau bedeutet, stimmen die Angehörigen zu, denn Maria H. soll bis zuletzt leben, wie sie es möchte.
Nach einem Monat im Hospiz wird ihr jedoch häufig schwindelig: Die Flüssignahrung, direkt über die Vene zugeführt, belastet den Kreislauf. "Wir haben mit ihr abgestimmt, dass wir die Nahrung nur noch jeden zweiten Tag geben", sagt Schwarz. "Dafür hat sie wieder ein bisschen selbst gegessen: Ein halbes Rührei, ein Stück Pizza und mit großem Genuss." Dabei sitzt Maria H. am Tisch im Esszimmer. In der Küche nebenan dürfen auch ihre Angehörigen kochen.
Leben und loslassen
Als Michael Schwarz eines Morgens zu ihr kommt, versucht Maria H. vergeblich, ihre Hose anzuziehen. Ihr fehlt die Kraft, sich zu bücken. "Ich helfe Ihnen gerne", bietet er an. - "Ich kann nicht mehr", entgegnet Maria H. nur und weint. Michael Schwarz setzt sich zu ihr auf die Bettkante; er muss mitweinen. "Da ist von ihrem Kopf im Herzen angekommen, dass sie stirbt", ist er überzeugt. "Sie konnte es jetzt fühlen, wollte keine Kräfte mehr aufwenden und ließ los." Gegen ihr häufiges Erbrechen bekommt sie Medikamente. Weitere, als die Schmerzen nachts stärker werden. Maria H wird schnell schwächer. Ihre Kinder und der Mann kommen dazu. Nach 40 Tagen im Hospiz stirbt Maria H. Eine Blume an der Tür und eine brennende Kerze zeigen es an. Mit der Feier zur Aussegnung nehmen alle, die sie begleitet haben, Abschied von ihr.