Caritas und türkische Gemeinde ziehen an einem Strang
Das eine Klischee passt, aber die folgenden nicht mehr. Es stimmt, dass die türkischen Gastarbeiter schwer gearbeitet haben. Aber dass sie jetzt im Alter nur in der Familie gepflegt werden, ohne fremde Hilfe, gilt nur noch eingeschränkt. Uwe Bröcker war das schon in seiner Zeit als Leiter der Sozialstation in Heek aufgefallen. Vereinzelt baten türkische Familien um professionelle Pflege. Jetzt sitzt er als stellvertretender Geschäftsbereichsleiter der Caritas Pflege & Gesundheit an der Ahauser Ridderstraße gerade zwei Grundstücke von der Moschee der türkischen Gemeinde entfernt. Eine Zusammenarbeit hatte er schon vor einiger Zeit angeregt. Jetzt wird daraus ein gemeinsames kultursensibles Pflegekonzept mit vielen Ideen. Im Dezember hat die Pflegeberatung in der Moschee begonnen. Die findet in den Zeiten statt, in denen die Gemeindemitglieder ohnehin zum Freitagsgebet kommen. Im Frühjahr wird dann das türkische Demenzcafé dort geöffnet.
Rund 2.000 Türken wohnen allein in Ahaus, rund 150 von ihnen sind bereits pflegebedürftig oder werden es in Kürze. Von diesem Ausmaß und der Notwendigkeit, Hilfe von außen suchen zu müssen, wurde auch Enver Gürbüz. Vorsitzender der Türkisch Islamischen Kulturgemeinde in Ahaus überrascht. Die Gemeinde hatte ihre Altersstruktur und die Bedürfnisse ihrer Mitglieder analysiert. Ein Ergebnis war, dass die nachfolgenden Generationen auch in dem Sinne gut integriert sind, dass beide Ehepartner arbeiten gehen müssen und wollen und somit niemand tagsüber für die Pflege zuhause ist. Wegen der Schwerstarbeit, die die Gastarbeiter in jungen Jahren geleistet haben, werden sie im Durchschnitt früher pflegebedürftig als die deutsche Bevölkerung. Die Patienten, die Uwe Bröcker und Enver Gürbüz im Blick haben, sind zwischen 65 und 75 Jahre alt. Ihnen soll schnell geholfen werden.
Türkische Azubis in der Altenpflege
Türkische Gemeinde und Caritas arbeiten
zusammen in der Pflege älterer Türken. Westbeld
Dem im Mai geschlossenen Kooperationsvertrag folgen jetzt die Taten. Halime Yldiz, Schwester Enver Gürbüz und Frauenbeauftragte der Kulturgemeinde, hospitiert zur Zeit in der Sozialstation Ahaus und lässt sich zur Demenzbegleiterin ausbilden. Sie wird die Pflegeberatung übernehmen und Uwe Bröckers Bindeglied zu den pflegebedürftigen Gemeindemitgliedern sein. Zur Untersützung sollen im kommenden Jahr Ehrenamtliche gefunden und zum Thema Demenz geschult werden, um im März einen offenen Treff für Demenzkranke eröffnen zu können. Im kommenden Jahr will Bröcker auch die ersten türkischen Auszubildenden in der Altenpflege einstellen, die erste Bewerbung hat er gerade auf den Tisch bekommen. Denn natürlich ist die Sprache ein Problem. "Für eine gute Pflege muss man sich verständigen können", sagt er. Das geht in dieser Generation nur mit einigen türkischstämmigen Mitarbeitern.
Kaum richtig begonnen, verbreitet sich die Idee schon. Die engen Kontakte der Ahauser Kulturgemeinde in die umliegenden Orte haben dort das Interesse geweckt, das Konzept zu übertragen. Dabei ist sich Uwe Bröcker bewusst, "das wir Pionierarbeit leisten müssen". Denn es gebe schon große Hemmschwellen, fremde Hilfe ins Haus zu holen.
Caritas-Mitarbeiter lernen islamische Kultur kennen
Auch müssen die Caritas-Mitarbeiter die Besonderheiten der islamischen Kultur kennen und berücksichtigen lernen. Dass beispielsweise beim Betreten des Hauses die Schuhe ausgezogen werden müssen und nur geschlechtsspezifisch gepflegt werden kann. Das wird auch eine Herausforderung für Bröckers nächste Idee: Essen auf Rädern. An die Moschee soll angebaut und die Mahlzeiten dort gekocht werden. Denn, so Bröcker, es darf nicht nur kein Schweinfleisch verwandt werden, sondern auch das Geschirr nicht mit Tellern in Berührung kommen, von denen es gegessen worden ist: "Wenn wir das Vertrauen der türkischen Gemeindemitglieder gewinnen wollen, müssen wir diese religiösen Regeln streng beachten.
Auch wenn die zweite und dritte Generation der Gastarbeiter gut integriert ist, Münsterländer und Türken im Altenheim zusammen zu bringen, sieht Uwe Bröcker als problematisch an. Die meisten Bewohner leiden an Demenz und erinnern sich vor allem an ihre Jugend. Da fehlen aber die gemeinsamen Erfahrungen", sagt Bröcker. Er denkt eher an eine rein türkische Hausgemeinschaft in einer der Senioreneinrichtungen der Caritas. Plätze seien auch im Betreuten Wohnen erforderlich, denn in der Regel wohne die erste Generation noch in einfachen Miethäusern ohne Aufzug.
Caritas-Hilfe für Menschen ist unabhängig von der Konfession
Die Zusammenarbeit mit der türkisch-islamischen Kulturgemeinde hat Uwe Bröcker mit der katholischen Kirchengemeinde abgesprochen und natürlich stehen auch Caritasrat und Vorstand seines Verbandes dahinter: "Wir füllen hier unser Leitbild mit Leben, dass wir uns unabhängig von der Konfession um die Menschen kümmern".
Persönlich empfindet Bröcker die vielen neuen Erfahrungen, die sich aus der Kooperation ergeben, als große Bereicherung. Er ist jetzt eingeladen in die türkische Vertretung in Münster zur Feier des 88. Jahrestages der Türkischen Republik, ist gerne der Einladung zum gemeinsamen abendlichen Essen im Ramadan gefolgt und freut sich, wenn sich sein ehemals skeptischer, 15jähriger Sohn auch mit türkisch-stämmigen Freunden trifft.