Mit Corona-Mut gegen den Klimawandel
Auch wenn es bis zum Impfstoff noch dauert, die öffentliche Diskussion läuft: Wie wird die Welt nach Corona sein? Werden wir nach und nach alles wieder "hochfahren", was wir hatten? Oder wird der Schock des Shutdown in Erinnerung bleiben...
- als Erfahrung, dass ein "Weiter so" keineswegs gottgegeben ist;
- als Erkenntnis, dass unser Alltagsverhalten über Leben und Tod entscheiden kann;
- als Erlebnis, dass unsere Welt sehr anders werden kann;
- als Impuls, nachzudenken, was wirklich zählt?
Bei ökologisch engagierten Menschen kommen diese Fragen auch aus angestautem Frust. Beim Klimawandel sagt uns die Wissenschaft ebenso wie bei Covid-19 eine nicht mehr beeinflussbare Katastrophe voraus, wenn wir nicht jetzt sofort radikal umsteuern. In die Eindämmung der Coronakrise flossen in beeindruckendem Tempo enorme Ressourcen. In einem gesellschaftlichen Kraftakt konnte hierzulande die Kurve der Ansteckungen tatsächlich so weit abgeflacht werden, dass unser Gesundheitssystem nicht überfordert wurde. Bei der Eindämmung der Klimakrise dagegen gelten seit Jahrzehnten: Taktieren und das Hinausschieben versprochener Zielmarken. Corona lässt Flugzeuge am Boden und Autos in der Garage, doch fürs intakte Klima bekommen wir nicht einmal ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen hin.
Woher rührt dieser krasse Unterschied in der politischen und gesellschaftlichen Entschlossenheit, unser "brennendes Haus" (Greta Thunberg) zu löschen? Eigentlich fallen bei beiden Großgefahren, der Corona-Pandemie und dem Klimawandel, erhebliche Gemeinsamkeiten auf:
Generationensolidarität spielt eine wesentliche Rolle:
Bei Corona sind vorwiegend Ältere die Opfer. Jüngere schränken ihr gewohntes Leben ein, damit die Großeltern-Generation weniger ansteckungsgefährdet ist. Beim Klimawandel gilt das gleiche Prinzip, wenn auch mit umgekehrten Zeichen: Hier sind es die Jungen, die unter den Folgen des sorglosen Verhaltens aller zu leiden haben werden. Eine Nach-mir-die-Sintflut-Haltung Älterer wäre hier extrem unsolidarisch.
Die Welt ist anders als zuvor:
Beim Klimawandel fallen riesige Flächen aus, die bislang bewohnbar waren oder gute landwirtschaftliche Erträge brachten. Gewässer versiegen, anderswo können sie die Fluten nicht mehr bändigen. Bei der Corona-Pandemie gilt: Händeschütteln und Umarmungen als Urgesten des Sozialen werden suspekt, Abstand ist die neue Erwartung im Umgang miteinander. Ebenso sind gemeinschaftliche Nutzungen wie Gasträume, Sporthallen und sogar Kirchen verdächtig geworden: Ständig muss irgendetwas desinfiziert werden. Eine sehr andere Welt, viele Selbstverständlichkeiten sind mit einem Mal weg oder jedenfalls schwierig geworden.
Beide Krisen treffen weltweit vorwiegend die Ärmeren:
Menschen mit höherem Einkommen haben vielfach die passenden Berufe und die technische Ausstattung, um ihre Arbeit ansteckungssicher in die eigenen vier Wände zu verlagern. Und in engen Slums oder in Massenunterkünften ist es kaum möglich, Abstands- und Hygieneregeln einzuhalten (Beispiel Brasilien, Beispiel Fleischindustrie). Von der Zuteilung der zu wenigen Klinikbetten und Beatmungsplätze an Nicht-Krankenversicherte ganz zu schweigen.
Beide Krisen nehmen einen exponentiellen Verlauf:
Wird nicht frühzeitig energisch gegengesteuert, dann steigt die Zahl der Neuinfektionen ebenso steil nach oben wie die Zahl der Menschen, die durch Extremwetter-Ereignisse Hab und Gut, ihre Heimat, gar ihr Leben verlieren. Bei beiden Krisen sind die Zählungen nicht immer eindeutig ("verstorben in Verbindung mit Corona", "Rekordsommer in immer kürzeren Abständen"). Aber die Trends sind mehr als deutlich für dringende Warnungen.
Schleichender Anstieg bis zum Kipp-Punkt:
Bei beiden Krisen gibt es ein Zu-Spät ("außer Kontrolle"), dessen Zeitpunkt trügerisch weit entfernt scheint: Bei Corona, wenn der R-Faktor längere Zeit über 1 bleibt, das heißt: Ein Covid-19-Erkrankter steckt mehr als eine Person an. Dann gibt es einen sich rasch beschleunigenden Anstieg der Zahl Schwerkranker, mit der das Gesundheitssystem eines Landes nicht mehr mithalten kann (siehe das gelbe Szenario in der Abbildung oben).
Beim Klimawandel sind es Kipp-Punkte wie etwa ein zu starkes Abschmelzen der Pole oder ein zu starkes Auftauen des sibirischen Permafrost-Bodens: Die seit Jahrtausenden tief eingefrorenen Mengen an Kohlendioxid (CO2) werden schlagartig frei und heizen als Treibhausgas die Atmosphäre noch weiter auf – ein Teufelskreis, aus dem es nach dem Kipp-Punkt kein Entkommen mehr gibt.
Nicht nur auf andere warten – selbst etwas tun!
Es mag frustrieren, wenn jemand penibel die Abstandsregeln einhält, während andere sie für Spielerei oder Übertreibung halten. Oder wenn jemand mit einem grotesk überdimensionierten Auto die Treibhausgas-Einsparungen zunichtemacht, die andern Orts mühsam erarbeitet wurden. Trotzdem: Wer Treffen in eine unbedenkliche Zukunft verschiebt, sich öfter die Hände wäscht, vermindert jedes Mal in absoluten Zahlen die Infektionsgefahr. Und wer bewusst mit dem Thermostat an seiner Heizung umgeht, erspart der Welt ein Wölkchen CO2, das andernfalls der riesigen Wolke noch hinzugefügt würde. Dass Letztere durch politische Anstrengungen schrumpfen muss und durch Ziele, die für alle verbindlich werden, ist die andere Seite der Medaille.
Die Frage an uns alle bleibt: Was lernen wir aus der Corona-Zeit, um etwas gegen den Klimawandel beizutragen?