„So erschöpfte Frauen hab ich in den letzten zwanzig Jahren noch nicht gesehen.“
Frau Grochtmann, wie hat sich der Kurbetrieb seit März entwickelt?
Leider mussten wir zum 1. April unsere Klinik für neun Wochen schließen. Danach konnten wir den Kurbetrieb aber schrittweise wiederaufnehmen: So haben wir am 9. Juni mit einer Belegung von 60 Prozent begonnen, uns Mitte Juli auf 80 Prozent Auslastung gesteigert und versuchen seit Ende August, den Regelbetrieb wieder aufzunehmen. Eine Auslastung von 100 Prozent erreichen wir unter den derzeitigen Hygienevorschriften aber nicht.
Welche Folgen hatte die neunwöchige Klinikschließung für die Mitarbeitenden?
Wir mussten die Mitarbeitenden in die Kurzarbeit schicken. Dankenswerterweise hat die Caritas 10 Prozent des Lohns aufgestockt. Trotzdem waren es über die Zeit schwere finanzielle Einbußen. Glücklicherweise mussten wir bisher noch niemanden entlassen, da unsere Arbeitsabläufe sehr eng gestrickt sind und wir durch die Corona-Maßnahmen einen erhöhten Arbeitsaufwand haben. Selbst als wir nur 60 und 80 Prozent Belegung hatten, brauchten wir fast alle Mitarbeitenden.
Mit welchen Beschwerden kommen die Mütter derzeit in ihre Klinik?
Die Frauen die zu uns kommen haben ganzheitliche Probleme, leiden unter Erschöpfung oder psychosomatische Beschwerden. Zu den körperlichen Beschwerden unserer Patientinnen zählen neben Haut- und Atembeschwerden, verstärkt Rückenprobleme.
„Auf Dauer kann niemand 120 Prozent geben”
Und nun auch unter den Folgen der Corona-Pandemie?
Ja, momentan sind die Frauen, die zu uns kommen, besonders belastet. Bei jeder neuen Anreise sehen wir, wie erschöpft die Mütter sind. Man kann sich das nicht vorstellen. So erschöpfte Frauen hab ich in den letzten zwanzig Jahren noch nicht gesehen. Sie alle haben diesen Lockdown hinter sich, verbunden mit Homeschooling und Ganztagsbetreuung. Während dieser Zeiten sind manche Frauen täglich um 4 Uhr früh aufgestanden, um vor dem Aufwachen der Kinder noch für zwei bis drei Stunden zu arbeiten. Manche Frauen sitzen nur noch vor mir und weinen. Auf Dauer hält niemand durch, immer 120 Prozent zu geben.
Wie hat sich die Dynamik von An- und Abmeldungen in den vergangenen Wochen verändert?
Da gibt es viel Bewegung in Sachen Belegung, weil viele Frauen ab- oder wieder zusagen. Kommt es zu einer Absage, rufen wir zum Beispiel Frauen aus einer später geplanten Kur an und fragen sie, ob sie die Kur nicht vorziehen möchten. Wir versuchen, immer eine Lösung zu finden, damit der Platz nicht vakant wird, schaffen es aber nicht immer. Die meisten sagen derzeit aus Angst vor einer Corona-Ansteckung ab. Ein weiterer Grund für Stornierungen: Viele Mütter wollen ihre Kinder nach wochenlangem Homeschooling nicht aus dem Präsenzunterricht nehmen. Leider gibt es auch immer wieder Frauen, die eine bereits bewilligte Kur absagen, aus Sorge ihren Arbeitsplatz zu verlieren, weil ihr Arbeitgeber sich gegen eine dreiwöchige Abwesenheit ausspricht.
Beeinflussen die Sicherheits- und Hygiene-Maßnahmen den Kurbetrieb?
Ja, die Maßnahmen haben den Kuralltag für unsere Patientinnen verändert. Zum Beispiel haben wir jetzt zwei Essens-Durchgänge und jede Familie muss an einem extra Tisch sitzen. Das ist nicht die Atmosphäre, die sich die Frauen ansonsten wünschen. Zudem haben wir eine Maskenpflicht für Kinder ab sechs Jahren eingeführt. Unser ganzheitliches Therapiekonzept bleibt weiter bestehen, auch wenn wir im Therapie-Plan flexibler werden mussten. So haben wir zum Beispiel die Gruppengröße verkleinert, die Anzahl der Kurse aber verdoppelt. Generell ist alles ein bisschen anders als vorher, aber die Rückmeldungen von unseren Patientinnen und den Kindern waren bisher durchweg positiv.
Und was sagen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum neuen Ablauf?
Wir haben tolle Mitarbeitende, die sich auf jede neue Situation sehr gut einstellen. Aber durch den Hygiene- und Pandemieplan ist der Arbeits- und Organisationsaufwand sehr viel höher geworden. In Kürze wollen wir auch mit Schnelltestungen auf Covid-19 beginnen. Es bleibt eine angespannte Situation, die schwierig ist zu organisieren.
„Schließung unserer Klinik durch Lock-Down wäre eine Katastrophe”
Wie geht es ihrer Klinik derzeit finanziell?
Die momentane finanzielle Lage der Klinik ist schwierig, weil wir durch die Einhaltung der Hygieneregelungen erhöhte Aufwendungen haben. Auch lief zum 30. September der Rettungsschirm der Bundesregierung aus. Dieser deckte 60 Prozent unserer Kosten, wenn Patientinnen frühzeitig abreisten oder kurzfristig absagten. Außerdem einen Großteil der Kosten während unserer neunwöchigen Schließung. Seit Oktober muss die Klinik in solchen Fällen den gesamten finanziellen Verlust tragen - das ist eine belastende Situation. Aktuell ist das Gesundheitsministerium nämlich der Meinung, dass die Kurkliniken keine Unterstützung in Form eines Rettungsschirms mehr bräuchten, weil sie sich wieder im Regelbetrieb befinden. Da stimmen wir der Politik aber nicht zu.
Welche Folgen hätte eine weitere Schließung der Stella Maris Klinik?
Sollte es in Folge eines Lock-Downs zu einer erneuten Schließung unserer Klinik kommen, wäre das eine Katastrophe. Denn wir haben nicht nur Lohnkosten, die wir stemmen müssen, sondern auch Fixkosten. Ein genauso großes Problem wäre es aber auch, wenn wir auf Grund eines Covid-19-Falls schließen müssten. Auch in diesem Fall würden derzeit weder der Bund noch die Krankenkasse für die Ausfälle aufkommen. Das gesamte Angebot der Mutter- und Vater-Kind-Kuren hängt an einem seidenen Faden. Denn alle Einrichtungen stehen derzeit nah an ihrer finanziellen Grenze. Deswegen fordern wir von der Bundesregierung die Verlängerung des Rettungsschirms. Das würde uns sehr helfen.