Pflege- und Altenheime zu Festungen machen
Anke Schäflein, Geschäftsführerin des Caritasverbandes für den Landkreis Haßberge in Unterfranken (Träger verschiedener stationärer Einrichtungen und ambulanter Pflege):
"Etwa 80 bis 90 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner unserer Einrichtungen sind dement. Teilweise sind die jüngeren von ihnen körperlich gesund und noch sehr mobil. Das heißt, sie gehen raus, sie gehen zum Kiosk, zum Supermarkt, spazieren. Sie bewegen sich, sie halten fallweise die Abstandsregelungen nicht ein. Und werden so zum Risikofaktor für die anderen Bewohnerinnen und Bewohner, und für die Pflegekräfte.
Denn auch in den Einrichtungen kann der Abstand nicht immer eingehalten werden. Auch jenseits der Pflege, gerade weil viele unserer Gepflegten dement sind. Sie fassen sich und anderen ins Gesicht, auch mal ins Essen. Wie sollen wir damit umgehen? Wird es demnächst Ausgangssperren geben? Das machen bereits einige Einrichtungen, die in Hotspots liegen oder gar selbst einer sind. Das schränkt die Rechte der Menschen massiv ein und gefährdet diese auch."
"Wir müssen die Einrichtungen zu Festungen machen, um die Bewohner nicht in ihren Zimmern einsperren zu müssen"
"Aber eigentlich müssen unsere Einrichtungen zu Festungen werden. Denn alles andere bedeutet, dass wir irgendwann gezwungen sein könnten, Bewohnerinnen oder Bewohner in ihre Zimmer einzusperren, um sie und andere zu schützen. Einen hochdementen, hochmobilen Menschen einzuschließen, setzt ihm einer massiven Gefahr aus. Das ist für diese Personen nicht auszuhalten. Ich will das um jeden Preis verhindern.
Eine Festung heißt nicht, dass niemand hereinkommt, aber eben sehr wenige Menschen und nur mit Schutzausrüstung. So machen wir es, wenn Menschen im Sterben liegen - in Altenheimen sterben Menschen, nicht nur an Corona. Wir lotsen die Angehörige durch eine Hintertreppe, wir statten sie mit Schutzausrüstung aus, die wir eigentlich nicht haben. Wir lassen sie rein, damit sie Abschied nehmen können.
Wenn wir Schutzausrüstung ohne Ende hätten, könnten wir das ganz anders machen, aber wir haben nichts, und ich erwarte da keine Entspannung. Deshalb sage ich auch: Das Geklatsche, das Glockengeläute und die Dankes-Ansprachen an Pflegekräfte… das ist schön und gut aber es geht mir - offen gesagt - auch auf die Nerven. Ich will nur hoffen, dass sich nach dieser Krise alle an die Bedeutung unserer Arbeit erinnern und sich die heute allerorts symbolisch gezeigte Wertschätzung auch konkret abbilden wird."
Hans-Georg Liegener, Geschäftsführer des Caritasverbandes Krefeld und Meerbusch mit sechs Altenheimen, fünf Pflegestationen, einer Tagespflege und einer solitären Kurzzeitpflegeeinrichtung
"Die Anforderungen an die Pflegekräfte sind nun ganz andere. Wir müssen auch dafür sorgen, dass sie untereinander so wenig Kontakt haben wie möglich. Das heißt zum Beispiel ganz kurze Übergaben. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der stationären Pflege sind etwas nervös, die Stimmung kann sich schnell steigern. Allesamt sind die Mitarbeitenden extrem gefordert. Es ist sehr wichtig, dass wir ihnen regelmäßig Ermunterung und Dank aussprechen.
Im Moment sind wir mit Schutzkleidung und Schutzmasken gut eingedeckt, weil wir Anfang März noch große Mengen besorgt haben. Ein Problem haben wir aber mit Brillen - denn auch über die Augen kann man sich mit dem Virus infizieren, und Brillen sind im Moment kaum in größerer Stückzahl zu bekommen. Wir haben einen Aufruf an die Bevölkerung hier in Krefeld gestartet, uns Schutzbrillen zu spenden, auch Chlorbrillen oder Motorradbrillen. Das wird ein buntes Bild in den Einrichtungen abgeben… aber Hauptsache die Menschen sind geschützt! Und dankenswerterweise sind bereits die ersten originalverpackten Schutzbrillen eingetroffen."
"Es muss ein bisschen Lebensqualität erhalten bleiben"
"Für die Bewohnerinnen und Bewohner müssen wir versuchen, ein bisschen Lebensqualität zu erhalten, soweit es geht. Das ist nach zwei Wochen Besuchsverbot, ohne Kontakt zu den Angehörigen, extrem schwierig. Wir haben das Glück, dass wir schon vor einiger Zeit W-Lan für die Besucherinnen und Besucher haben installieren lassen. Diejenigen, die es wünschen, können auf Videotelefonie zurückgreifen, und erstaunlich viele nehmen das in Anspruch. Das ersetzt aber den direkten Kontakt nicht.
Zudem müssen ständig schwierige Entscheidungen getroffen werden. Wir haben zum Beispiel in einer Einrichtung ein Paar, sie wohnen in getrennten Bereichen. Der Ehemann ist mobil und geht noch aus dem Haus. Wir mussten ihn vor die Wahl stellen: Entweder Sie lassen das Spazierengehen oder Sie dürfen Ihre Frau in ihrem Zimmer nicht mehr besuchen. Er hat sich für seine Frau entschieden."