Kinder und Jugendliche in Coronakrise zu wenig im Fokus
Carmen Okhuysen ist Leiterin der Erziehungsberatung Eichstätt.Caritas/Esser
Wie hat die Corona-Pandemie die Arbeit in der Erziehungs- und Familienberatung beeinflusst?
Wir haben vieles auf Telefon- und Videokonferenzen umgestellt. Eine neue Telefonanlage musste her, mit den vorhandenen zwei Telefonleitungen kamen wir nicht weit. Eine Software für Videokonferenzen wurde auch installiert. Es hat sich eine Mischung aus Telefon-, Video- und persönlichen Beratungen etabliert. Diese nennt sich "Blended Counseling". Dabei haben wir die Anzahl der Personen, die wir auf einmal beraten, reduzieren müssen. Sitzungen mit mehreren Familienmitgliedern oder ganzen Familien, wie in der Vergangenheit üblich, sind im Moment nicht machbar.
Sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht ins Home Office gegangen?
Es hat jede Beraterin und jeder Berater einen Home Office-Zugang bekommen. Wir mussten uns auf das Schlimmste vorbereiten. Einzelne Beratungsgespräche können auch von zu Hause aus stattfinden. Dennoch hat sich das nicht als Regel etabliert.
Gibt es andere Bereiche, bei denen Sie Abstriche machen mussten?
Ja. Neben der klassischen Beratung für Eltern, Kinder und Familien haben wir im Laufe der Jahre verschiedene Gruppenangebote für Kinder und Eltern etabliert, um eine größere Zielgruppe, die eine ähnliche Thematik hat, auf einmal erreichen zu können.
Und diese Gruppen dürfen wegen der Corona-Pandemie jetzt nicht stattfinden?
Es kommen zu viele Haushalte auf einmal zusammen, das ist unter den jetzigen Bedingungen nicht erlaubt. Wir bieten als Ersatz die Einzelberatung an, durchaus mit mehreren Sitzungen, abwechselnd auch mit verschiedenen Familienmitgliedern. Wenn sich ein Vertrauensverhältnis im Beratungsprozess gebildet hat, kann man vieles telefonisch oder per Video klären. Dies ist für die Familien in Home Office und Homeschooling sogar von Vorteil.
Haben Sie viele Anfragen, die sich auf Schule beziehen?
Ja, Schule gehört zum Alltag jedes jungen Menschen, und somit spielt das Thema auch direkt oder indirekt eine Rolle in der Beratung. Wenn die Hausaufgabenzeit zum Beispiel vor dem Lockdown bereits problematisch war, dann hat sich das mit Sicherheit im Homeschooling verschärft. Aktuell bieten wir Beratung an zum Thema Schulfähigkeit bei Kindern, die im September eingeschult werden sollen. Manche Eltern sind verunsichert, weil die Untersuchungen vom Gesundheitsamt und von der Schule coronabedingt bisher teilweise ausgefallen sind. Den Eltern fehlt die Orientierung. Wir schauen uns die Fähigkeiten vom Kind einzeln oder in einer Kleinstgruppe von zwei Kindern an. Danach fließen unsere Beobachtungen in ein Gespräch mit den Eltern ein. Somit helfen wir Ihnen bei der Entscheidung.
Was könnte Ihrer Meinung nach verbessert werden?
Kinder und Jugendliche sind meiner Meinung nach bisher zu wenig im Fokus der Maßnahmen gegen die Pandemie gewesen. Viele Eltern sind derzeit enorm gefordert durch die Notwendigkeit, Familienleben, Schule und Arbeit buchstäblich unter ein Dach zu bekommen. Doch Familien machen keine Lobbyarbeit. Sie versuchen ihr Bestes, bis es nicht mehr geht. Hin-zu kommt, dass die Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder nicht unbegrenzt sind. Es gibt Zeitfenster, in denen bestimmte Fähigkeiten idealerweise erworben werden. Fehlen den Kindern Erfahrungen und Anreize in diesen Phasen, kann es vorkommen, dass bestimmte Kompetenzen sich unzureichend oder gar nicht erst ausbilden. In den ersten beiden Schuljahren können bei Kindern so zum Beispiel soziale Kompetenzen oder das Lesenlernen auf der Strecke bleiben.
Können Sie Familien einen konkreten Tipp in dieser schweren Zeit geben?
Alltagsroutinen mit festen Aufgaben für alle Familienmitglieder geben Halt. Die Erwartungshaltung kann heruntergefahren werden, um sich Ruhepausen zu gönnen. Dennoch sollten Eltern nicht zu lange warten, um sich bei Bedarf Rat zu holen.